ntv mobil: Ansteckungszahl sinkt auf 0,7 -
Ansteckungszahl sinkt auf 0,7
Deutschland hat im Kampf gegen das Coronavirus ein wichtiges Etappenziel erreicht: Die Ansteckungsrate des Virus ist nach neuesten Angaben des Robert Koch-Instituts (RKI) auf 0,7 gesunken. Damit steckt jeder Infizierte nunmehr weniger als einen weiteren Menschen an. Das bedeutet, dass die Zahl der Neuerkrankungen leicht zurückgeht, wie das RKI zur Reproduktionszahl "R" in seinem
täglichen Lagebericht schreibt.
Die wichtige Kennzahl "R" gibt an, wie viele Menschen eine erkrankte Person im Durchschnitt mit dem Coronavirus infiziert. Anfang März lag der Wert noch bei 3, am 8. April bei 1,3 - jeweils mit einer gewissen Schwankungsbreite.
ntv mobil: Die Richtung stimmt, doch der Weg ist weit -
Die Richtung stimmt, doch der Weg ist weit
Jens Spahns "neue Normalität"
Die Richtung stimmt, doch der Weg ist weit
Von
Sebastian Huld
Die Bundesregierung hat eigentlich Grund zur Freude: Die Infektionszahlen fallen unerwartet deutlich. Doch der eingeschlagene Weg im Umgang mit dem Coronavirus ist nicht leicht zu vermitteln: Gerade weil er funktioniert, soll der Ausnahmezustand auf unbestimmte Zeit aufrechterhalten bleiben.
Wie der Gesundheitsminister einräumt, ist die nun vielfach debattierte Reproduktionszahl R auch nur die neueste Mode in der politischen Kommunikation in Zeiten von Corona. Zuvor war es mal um die Verdoppelungszahl gegangenen, also den Zeitraum, in dem sich die Zahl der Infizierten verdoppelt. Davor ging es um die Durchseuchung, also um die notwendige Zahl von genesenen Infizierten, die das Virus daran hindert, immer neue Wirte zu finden.
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Die damals diskutierten, zugehörigen Zahlen sind inzwischen scheinbar ohne Wert. Die Kanzlerin hatte vor drei Wochen davon gesprochen, das Ziel sei mindestens eine Verdoppelung der Infiziertenzahlen alle zehn bis 14 Tage. Inzwischen hat Deutschland einen doppelt so hohen Wert erreicht: Mit einer Verdoppelung des Infiziertenzahlen alle 28 Tage liegt die Bundesrepublik gleichauf mit Frankreich, Italien und Spanien, die noch früher noch strengere Sperren verhängt hatten.
Von der kontrollierten Durchseuchung ist gar nicht mehr die Rede. Wenn es kein Impfmittel und kein Medikament gäbe, müssten sich bis zu 70 Prozent mit Sars-CoV-2 anstecken, um eine Herdenimmunität zu erreichen, hatte Merkel am 12. März unter Berufung auf ihre Experten gesagt. Zwei Erkenntnisse haben das Thema Durchseuchung seither in den Hintergrund treten lassen: die zu erwartenden Opferzahlen und der notwendige Zeitraum.
So errechnete etwa die
Deutsche Gesellschaft für Infektiologie Anfang April, dass eine Durchseuchung bis zu 1,2 Millionen Covid-19-Tote allein in Deutschland bedeuten würde. Eine kontrollierte Durchseuchung mit möglicherweise weniger Toten würde Jahre dauern. Der Infektionsforscher Michael Meyer-Hermann vom Helmholtz-Institut rechnet
im Berliner "Tagespiegel" vor, dass eine Durchseuchung mit der Reproduktionszahl eins theoretisch 25 Jahre bräuchte.
Dass eine Durchseuchung zu lange dauern würde, sieht auch Spahn so: "Sagen wir, wir hätten eine zehnfache Dunkelziffer, dann hätten wir trotzdem nur 1,3 Millionen Infizierte", sagt er auf der Bundespressekonferenz und wiederholt: "Eine Pandemie endet dann, wenn 60 bis 70 Prozent einer Bevölkerung infiziert sind." Das wäre so oder so noch sehr lange hin.
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Der andere, nicht mehr oft genannte Kennwert kommt auch zur Sprache: "Die Verdopplungszeit hat am Anfang Sinn gemacht", sagt Spahn. "Wir haben es geschafft, das dynamische Wachstum zurückzubringen zu einem linearen Wachstum." Nun folgt das, was Spahn eher beiläufig "neue Normalität" tauft: das Leben mit Corona. Und da spielt ein vierter Wert - neben der Durchseuchung, der Verdoppelungs- und der Reproduktionszahl - eine entscheidende Rolle: die absolute Zahl an Neuinfektionen.
Denn was sich die Regierungen in Bund und Ländern vorgenommen haben, ist, das Infektionsgeschehen fortan unter Kontrolle zu halten. Das heißt, der Ausnahmezustand bleibt erst einmal, auch wenn hier und da mit Lockerungen experimentiert wird. So lange, bis ein Impfstoff da ist oder ein Medikament, das die Zahl der Covid-19-Intensivfälle drastisch senkt. Beides wird deutlich schneller kommen als die Durchseuchung mit ihren hohen Totenzahlen. Hierfür muss aber die absolute Zahl der Neuinfektionen niedrig bleiben.
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Die Reproduktionszahl 0,7 beschreibt nämlich nicht das ganze Infektionsgeschehen, sondern umfasst alle Fälle in Deutschland. Die Brandherde der Corona-Epidemie sind aber lokal und sollen es nach Möglichkeit auch bleiben. In Schwerpunktregionen ist die Reproduktion derzeit deutlich höher als 0,7. Und gerade deshalb müssen dort möglichst alle Fälle erfasst und ihre Kontaktpersonen nachvollzogen werden, auf dass sie alle in Quarantäne gehen. Auf Nachfrage sagt Spahn, dass beispielsweise 3000 neue Fälle pro Tag noch zu handhaben wären. "Bei 50.000 alle Kontakte nachzuverfolgen, ist sicherlich ohne Technologie nicht schaffbar."
Damit spielt Spahn auf die sogenannte Tracing-App an, die es ermöglichen soll, Kontaktpersonen von Infizierten via Handy-Anwendung nachzuverfolgen und anzusprechen. Die App soll aber erst im Mai kommen. Experten haben Zweifel angesichts der hohen Erwartungen. Zum einen gäbe es noch andere Infizierungswege als den direkten Kontakt zwischen Menschen und zum anderen würde die App in einigen Fällen sehr, sehr viele potenzielle Kontaktpersonen identifizieren, von denen sich aber womöglich nur ein Bruchteil tatsächlich angesteckt habe.
Also auch mit Technologie wird das Infektionsgeschehen womöglich nicht leicht beherrschbar sein, sobald die Menschen wieder vermehrt Kontakte pflegen. Ferner ist die nicht lückenlose Nachvollziehbarkeit von Infektionswegen nicht die einzige Schwäche des gefassten Plans. Spahn räumt in der Bundespressekonferenz ein, dass es jetzt schon zu wenig benötigtes Material auf dem Weltmarkt gibt, um die vorhandenen Testlabore voll zu bedienen. Das massenhafte Testen ist aber eine Säule des Vorhabens.
So fährt die Bundesregierung bis auf weiteres auf Sicht und will alle zwei Wochen über die verhängten Maßnahmen sprechen. Wann diese enden, also wann mit einem Impfmittel zu rechnen ist, darüber spricht Spahn lieber nicht. Klaus Cichutek, der Präsident des Paul-Ehrlich-Instituts, zeigt sich auf der Bundespressekonferenz enthusiastisch über die rasanten Fortschritte bei der weltweiten Arbeit am Impfstoff. In seiner Welt ist die Entwicklung eines solchen Medikaments binnen Monaten sensationell. Einem Minister dagegen, der seiner Bevölkerung die unbefristete Fortdauer immenser Einschränkungen als "neue Normalität" verkaufen muss, kommen mehrere Monate sehr lang vor.
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Nach Einschätzung von Experten dürfte es mindestens bis zum Frühjahr 2021 dauern, bis ein Impfstoff verfügbar ist. In Deutschland soll laut Paul-Ehrlich-Institut (PEI) in Kürze die erste klinische Prüfung eines Impfstoff-Kandidaten beginnen. Bisher seien weltweit vier Kandidaten in ersten klinischen Prüfungen, sagte PEI-Präsident Klaus Cichutek am Freitag in Berlin.